Die Stadt der Feintrinker und der Druck der Weltpolitik

Keller mit Fässern in der "Maison Bache Gabrielsen". Foto: Matilda Jordanova-Duda Keller mit Fässern in der "Maison Bache Gabrielsen". Foto: Matilda Jordanova-Duda

In der Region Cognac in Frankreich wird der edelste Traubenschnaps der Welt gebrannt. Der weltweite Handelsstreit stürzt die Winzer in eine Krise. Ein Besuch bei Produzenten, die jetzt um das alte Kulturgut kämpfen wollen. 

Weinreben, soweit das Auge reicht. 24 Hektar davon gehören Alain Reboul. Der 62-Jährige ist Winzer in der siebten Generation und sein Weingut „Earl des Bois nobles“ in Fleurac ist eines der kleineren in der Region von Cognac. Hier, nicht weit von Bordeaux und der Atlantikküste Frankreichs, wird der edelste Traubenschnaps der Welt gebrannt. Die vier großen Cognac-Marken Hennessy, Rémy Martin, Martell und Courvoisier, die ca. 90 Prozent des Marktes beherrschen, sind in der streng begrenzten Anbauregion angesiedelt. Ebenso rund 130 kleinere Produzenten und 4350 Weinbauern wie Reboul. Denn nur Trauben aus den sechs Anbaugebieten („crus“) von strikt definierten Weißweinsorten dürfen für Cognac verwendet werden.

Sein ganzes langes Berufsleben hat Reboul Land zugekauft und Reben gepflanzt. Bislang. Denn jetzt soll er einen Teil davon herausreißen. Das hatten der Branchen-Verband BNIC (Bureau National Interprofessionell du Cognac) und auch die Winzer-Gewerkschaft empfohlen, um Kosten für Maschinen, Dünger und Pestizide zu sparen. Denn die Absatzmärkte für den Branntwein sind unter starken politischen Druck geraten. 

Winzer Alain Reboul im Weinberg. Fassproduzentin Allary. Foto: Matilda Jordanova-Duda
Winzer Alain Reboul im Weinberg. Fassproduzentin Allary. Foto: Matilda Jordanova-Duda

98 Prozent der Produktion wird exportiert. Der größte Markt sind die USA: Trump hat 200 Prozent Zölle auf europäische Spirituosen angedroht. Der zweitgrößte Markt ist der chinesische: Xi Jinping hat bereits im Herbst letzten Jahres die Importe verteuert und ein Antidumping-Verfahren gegen die Cognac-Hersteller angestrengt – als Vergeltung für die Schutzzölle der EU gegen chinesische E-Autos. Der Alkohol darf auch nicht mehr in den Duty-free-Shops des Landes verkauft werden. Die Lieferungen nach China sanken um die Hälfte: ein Verlust von rund 50 Millionen Euro monatlich. Das Antidumping-Verfahren – ausgerechnet bei dem teuren Tropfen! – wird sich bis zum Sommer hinziehen. BNIC appelliert an die französische Regierung, die rund 70.000 Jobs, die direkt und indirekt am Cognac hängen, nicht im Stich zu lassen.

Reboul ist dabei, das Weingut an seine Tochter zu übergeben. Auch die zweite Tochter arbeitet in der Branche. Die Krise beschäftigt ihn sehr. Aber er will partout keine Reben herausreißen. „Die pflanzt man für 30 Jahre, mindestens“, sagt der große wettergegerbte Mann: „für Generationen. Und warum sollen wir immer wieder dieselben Dummheiten begehen wie unsere Vorfahren?“ Während der Ölkrise in den 70ern hat sein Vater den Rat befolgt, Rebstöcke zu vernichten und auf Rotwein umzusteigen. Gelohnt habe es sich nicht. 

Vor ein paar Jahren hieß es noch: „Pflanzen, pflanzen, pflanzen!“ Der Durst nach Cognac schien schier unstillbar. 2022 wurden trotz Pandemie und Krieg in der Ukraine knapp 213 Millionen Flaschen weltweit verkauft: laut BNIC eines der besten drei Jahre in der Geschichte. Der aktuelle Einbruch sei bereits der größte Schock seit der Ölkrise. Reboul kennt Kollegen, die mehrere Hektar Rebstöcke herausgerissen haben. Statt Weinberge sieht man nun mancherorts Oliven- oder Trüffelplantagen. „An meiner Philosophie wird das nichts ändern!“, beteuert er. Krisen hat es schon immer gegeben. 

Chinesische und US-amerikanische Vergeltungszölle treffen Cognac nicht zum ersten Mal. Einbrüche verursachten zeitweise auch die Pandemie, die Inflation und der Wegfall des wichtigen russischen Marktes. Zudem beutelt der Klimawandel die Winzer. Die verlängerte Hitzeperiode macht die Trauben zuckerhaltiger. Cognac braucht jedoch eine gewisse Säure. Die Reben treiben früher aus: Dadurch steigt das Risiko, die Ernte wegen Hagel, Spätfrost und Schädlingen einzubüßen.

Reboul hat angefangen, früher zu ernten. Zwischen den Reihen hat er Blühstreifen angelegt, die Kleintieren Lebensraum geben und Nitrate aus dem Boden ziehen. Er sei aber kein Bio-, sondern ein „vernünftiger“ Winzer, der sich an die Empfehlungen zu Pestiziden hält und die spezielle landwirtschaftliche Wetter-App zu Rate zieht. Alles, was er herausbringt, dokumentiert er mit dem Smartphone. Das Gut bewirtschaftet er mit Hilfe von Familienmitgliedern und Saisonarbeitern. Die Trauben werden maschinell gepflückt und gepresst. Der Saft wird in riesige Stahlbehälter gepumpt. „Unsere Arbeit endet mit der Weinproduktion“, erzählt der Winzer. Den gesamten Ertrag verkauft er an Hennessy. „Ich liebe meinen Beruf und bin stolz, meine Töchter mit diesem Virus angesteckt zu haben“.

Cassandra Allary führt mit ihrem Bruder ebenfalls einen kleinen Familienbetrieb in der dritten Generation: die Küferei Allary. Mit 26 Mitarbeitenden fertigen sie Eichenfässer und -tonnen aller Größenordnungen für Wein und Hochprozentiges. Rund 50 Fasshersteller gibt es zwischen Cognac und Bordeaux: Ihr Handwerk wurde zum Weltkulturerbe erklärt. 

Das Eichenholz wird entlang der Maserung gespalten, geschnitten und dann viele Monate lang draußen getrocknet, damit Wind und Regen die Tannine besser zur Geltung bringen, schildert die junge Firmenchefin. In der Werkshalle puzzelt ein Mitarbeiter die passenden Bretter zu einem Fass zusammen und hämmert einen Ring drum herum ein. Die Rohlinge werden befeuchtet, erhitzt, mit Böden, Deckel, weiteren Ringen und einem Spundloch versehen, poliert, entgratet. Zuletzt brennt ein Laserstrahl die Kundenmarke, den Namen Allary und die Chargennummer hinein. 

Es steckt viel Handarbeit und Knowhow darin. „Vom Grad der Erhitzung hängt ab, welche Aromen wir aus dem Holz herauskitzeln“, verrät Allary. „Das machen wir je nach Kundenwunsch.“ Bei niedriger Hitze durfte es nach Kokosnuss. Mittlere Hitze bringe einen Schuss Vanille rein und die stärkere Mokka- bzw. Kakaonoten. Ursprünglich belieferte Allary nur die Cognac-Firmen, diversifizierte jedoch bereits seit den 90ern das Portfolio. In diesem Jahr sei die kleine Firma noch gut ausgelastet, doch die Aufträge werden weniger. „Wie sich das noch entwickeln wird – wir werden sehen.“

Fassproduzentin Allary. Foto: Matilda Jordanova-Duda
Fassproduzentin Allary. Foto: Matilda Jordanova-Duda

Die Stadt Cognac mit ihren knapp 20.000 Einwohnern ist noch nicht im Krisenmodus. Der Leerstand hält sich in Grenzen. BNIC hat im Herbst allerdings den Bau seiner repräsentativen Zentrale auf Eis gelegt. Fast jeder hier macht oder vermarktet Cognac bzw. fertigt Fässer, Gläser, Flaschen und Etiketten. Die einzigen beruflichen Alternativen zu dieser Monokultur sind der nahegelegene Luftwaffenstützpunkt und der Standort von Safran, einem Hersteller von Luft- und Raumfahrttechnik.

Die Stadt am Fluss Charente ist im Mittelalter durch den Salzhandel und später durch den Branntwein reich geworden. Der Legende nach wurde der erste im Jahr 1549 destilliert. Die Destillation machte Weine haltbar und erleichterte den Export in weit entfernte Länder. Louis XIV., der Sonnenkönig, adelte sogar einen der frühen Cognac-Hersteller. Das Getränk gehörte in Europa nebst Zigarre zum Lebensstil des großbürgerlichen Feinschmeckers. In Japan und später in China wurde es vor allem als teures Geschenk und Wohlstandssymbol präsentiert. Aber Cognac steht genauso für freien Handel und offene Grenzen. Kein Zufall, dass Jean Monnet, einer der Gründerväter der Montanunion und der heutigen EU, aus einer traditionsreichen Händlerfamilie stammt und selbst in Sachen Cognac unterwegs war.

Viele alte Cognac-Häuser wurden von Einwanderern geschaffen. Im Empfangsraum der „Maison Bache Gabrielsen“ hängt eine Ahnengalerie über Schubladen voller historischer Flaschenetiketten. Das Haus wurde 1905 von einem norwegischen Leutnant gegründet und gehört zu den vergleichsweise jungen Cognac-Produzenten. Die großen Vier entstanden im 18. und 19. Jahrhundert und sind heute meist in Konzernen wie LVMH und Pernod-Ricard integriert. „Bache Gabrielsen“ ist immer noch im Familienbesitz und produziert ungefähr eine Million Flaschen jährlich. Das ist im Vergleich zu den berühmten Marken wenig, für einen Betrieb mit gerade einmal 23 Beschäftigten jedoch eine ganze Menge. 

Aus dem angelieferten Wein wird durch doppelte Destillation erst einmal ein hochprozentiges „eau de vie“. Mindestens zwei Jahre muss das „Wasser des Lebens“ in Eichenfässern reifen und die Holzaromen aufnehmen. Das bernsteinfarbene Endprodukt ist eine Mischung („Assemblage“) aus verschiedenen Jahrgängen und Crus. Aus den Fässern verdunsten jährlich 2 bis 3 Prozent des Inhalts. „Der Anteil der Engel“ nennt man hier den Verlust, der sich in ganz Cognac auf Millionen Flaschen pro Jahr summiert. Vom Alkoholdunst nährt sich eine besondere Pilzsorte: Deren schwarze Schlieren machen sich an etlichen Hauswänden in der Region bemerkbar. „Der Anteil der Engel“ ist mit einer der Gründe, warum eine Flasche alten Cognacs 3- bis 4stellige Summen kosten kann.

Kellermeister Jean-Philippe Bergier ist die „Nase“ von „Bache Gabrielsen“. Damit er tausend und mehr Aromen unterscheiden kann, hat er gut 10 Jahre gelernt. Als er an Corona erkrankte und seinen Geruchssinn verlor, war das eine Katastrophe. Zum Glück war es nach nur drei Tagen vorbei. Bergier komponiert seit 35 Jahren die Produkte des Hauses aus bis zu 15 Destillaten aus allen Crus der Region. Jedes „Maison“ ist um einen eigenen Stil bemüht: Die Arbeit eines Kellermeisters ähnelt der eines Parfümeurs.

Eingang auf das Gelände des Herstellers Martell. Foto: Matilda Jordanova-Duda
Eingang auf das Gelände des Herstellers Martell. Foto: Matilda Jordanova-Duda

Bergier hat schon etliche Trends kommen und gehen gesehen. „Früher wollte man einen starken Geschmack, später bevorzugte man leichtere, sanftere, nicht-aggressive Cognacs.“ Dann wieder Getränke mit höherem Alkoholgehalt, die eine Geschmacksexplosion im Mund verursachten. Heute wollten vor allem die Jüngeren wissen, wie ein Produkt gemacht wird. Es werde weniger Alkohol getrunken als noch vor einer Generation, das stimmt. Dafür lege man mehr Wert auf Qualität. Und weil Cognac ein Qualitätsprodukt sei, glaubt Bergier fest an seine Zukunft.

Rebsorten, die früher in winzig kleinen Anteilen beigemischt werden durften, sind jetzt wieder in, weil sie mehr Säure bringen, erklärt der Kellermeister: Das sei eine Reaktion auf den Klimawandel. Die „Maison Bache Gabrielsen“ hat auch eine kleine Charge Bio-Cognac in recycelten Flaschen abgefüllt, um ein neues Segment zu testen. Daneben versuchen die hiesigen Produzenten mit Cocktails, Likören und Aperitifs wie dem Pineau de Charente neue Zielgruppen zu erschließen.

Das Familienunternehmen exportiert hauptsächlich nach Europa, vor allem ins Stammland Norwegen. Doch ein potenzieller Wegfall des chinesischen oder amerikanischen Markts wäre schmerzhaft. „Wir verspüren viel Druck, die ganze Welt ist gegen uns“, so Kellermeister Bergier. „Aber wir brauchen uns alle gegenseitig. Europa ist ein großer Markt und wir werden schon zu einem Gleichgewicht finden.“

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