Einer aktuellen Umfrage zufolge sorgen sich viele Menschen vor Terroranschlägen auf Weihnachtsmärkten. Drei Experten erklären, warum die Angst unbegründet ist, wie man mit dem Thema umgehen sollte.
Absperrungen und Poller an den Zufahrtsstraßen, Polizei und Wachdienste, ein striktes Messerverbot seit 2024: Das Bild von Weihnachtsmärkten hat sich mit den verstärkten Sicherheitsvorkehrungen verändert. Die Terroranschläge der vergangenen Jahre verunsichern offenbar viele Menschen, wie eine aktuelle, repräsentativen Umfrage zeigt. Laut Online-Meinungsforschungsinstitut YouGov gaben rund zwei Drittel (62 Prozent) der Befragten an, dass sie sich Sorgen vor Anschlägen auf Weihnachtsmärkte machten.
Konkret antworteten auf die Frage „In der Vergangenheit gab es Anschläge in Berlin und Magdeburg – macht Ihnen das Sorgen in Bezug auf einen Weihnachtsmarktbesuch?“ 22 Prozent „ja, sehr“ und 40 Prozent „ja, etwas“. Wie so oft bei Umfragen lassen die Ergebnisse Spielraum für Interpretationen. Denn in der von der Deutschen Presse-Agentur beauftragten Umfrage wurde auch die Frage aufgeworfen: „Halten Sie die Sicherheitsvorkehrungen auf Weihnachtsmärkten für ausreichend?“ Darauf antworteten 41 Prozent mit Ja, aber 37 Prozent mit Nein, die übrigen Befragten, also 20 Prozent, hatten dazu keine Meinung oder waren unentschlossen. Immerhin mehr Menschen dürften sich auf dem Weihnachtsmarkt sicher fühlen als unsicher.
Weihnachtsmärkte: Was ist eine „abstrakte Gefahr“ für die Besucher?
Allerdings: Gespräche mit drei Fachleuten für diesen Artikel verdeutlichen, dass die erwähnte Besorgnis mit der realen Gefahr ähnlich viel gemein hat wie der Besuch der Christmette mit der Abgabe der Einkommenssteuererklärung. Drei Perspektiven auf das Thema Weihnachtsmärkte und Terrorangst.
Anna Rau ist Geschäftsführerin des Deutsch-Europäischen Forums Urbane Sicherheit, kurz DEFUS. Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Hannover bietet 24 deutschen Mitgliedsstädten eine Plattform, um sich über Sicherheitsfragen im öffentlichen Raum auszutauschen, voneinander zu lernen, auch in Sachen Terrorabwehr und -prävention. Weil in der Berichterstattung oft von „einer abstrakten Gefahr“ für Weihnachtsmärkte die Rede ist, die erste Frage an die Fachfrau: Was heißt das überhaupt konkret? „Juristisch wird ganz klar zwischen einer abstrakten und einer konkreten Gefahr unterschieden“, sagt Rau. Der Begriff „abstrakt“ beschreibe eine latente Vermutung, Weihnachtsmärkte könnten ein Ziel mit maximaler Schadenswirkung sein, da sie eben für die christliche Weihnachtstradition stehen und Attentate „ins Herz der christlichen Gesellschaft treffen würden“, sagt die DEFUS-Geschäftsführerin. Im Grunde heißt das also recht wenig. Der Hauptunterschied zur konkreten Gefahr liegt in der Eintrittswahrscheinlichkeit und ob ernstzunehmende Drohungen vorliegen.
3250 Weihnachtsmärkte gibt es in Deutschland
Zur Einordnung: Laut Deutschem Schaustellerbund besuchten im Jahr 2024 rund 170 Millionen Menschen die rund 3250 Weihnachtsmärkte in Deutschland, ein neues Allzeithoch. Bei den beiden bislang verübten Anschlägen starben in Berlin 13 Menschen, in Magdeburg sechs Besucher. Um das Risiko für die Wahrscheinlichkeit zu beziffern, braucht es also eine Zahl mit sehr vielen Nullen hinter dem Komma. Warum ist die Sorge bei vielen dennoch unverhältnismäßig groß?
Anruf bei Sozialpsychologe Ulrich Wagner. „Das hat viel mit dem Charakter der Ereignisse zu tun“, sagt der emeritierte Professor der Philipps-Universität Marburg, der viel zu sogenannten Intergruppenkonflikten, Aggression und Gewalt geforscht hat. „Die Ursache für diese übersteigerte Angst dürfte im Gefühl der Unerklärbarkeit liegen“, sagt Wagner. „Vereinfacht gesagt: Wir haben uns damit abgefunden, dass Menschen bei einem Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen werden, trotz der Grausamkeit ergibt es irgendwo Sinn, denn der Unfall ist auf menschliches Versagen zurückzuführen“, sagt er. Auf die Frage, warum ein Mensch andere Menschen mit einem Auto oder Lkw überfährt, gebe es aber keine nachvollziehbare Antwort. „Weil unser Denken immer darauf aus ist, die Welt um uns herum zu erklären und dieser Mechanismus hier versagt, steigert sich die Angst vor einem eigentlich extrem unwahrscheinlichen Ereignis“, sagt Wagner. Die Drastik trägt ihren Teil bei, sofort sind die Bilder im Kopf.
Neben diesem psychologischen Effekt gibt es laut dem Fachmann einen zweiten wesentlichen „Angst-Treiber“: eben die mediale Berichterstattung und die öffentliche Debatte über das Thema. „Politik und Medien stehen da vor einem Dilemma: Zeitungen müssen natürlich über Terroranschläge berichten und Politiker einen Umgang damit finden. Die nüchterne analytische Feststellung muss trotzdem lauten: Dadurch werden Ängste verstärkt und schlimmstenfalls Nachahmungstäter motiviert“, konstatiert Wagner.
Ähnlich kritisch sieht es Anna Rau, die Geschäftsführerin vom DEFUS. „Umfragen wie die erwähnte zu Terror und Weihnachtsmärkten sind maximal schädlich, weil sie bestätigen, dass sich Menschen Sorgen machen und sich in der Folge noch mehr Menschen Sorgen machen“, sagt sie. Eine Art selbsterfüllende Prophezeiung also, die aber himmelweit entfernt ist vom besinnlichen Zusammensein mit Familie und Freunden, dem Weihnachtsgefühl inmitten der Hektik.
Was also tun? Zunächst vielleicht einen nüchternen, klaren Blick auf die Situation werfen. „Die Städte sind sehr gut und professionell mit ihren Sicherheitskonzepten aufgestellt“, beobachtet Rau. Ähnlich sieht es der Soziologe Professor Herbert Schubert, der viel zum Sicherheitsgefühl in öffentlichen Räumen geforscht hat. „Weihnachtsmärkte folgen dem bewährten Modell der „Crime Prevention Through Environmental Design“, kurz CPTED, was man mit „Kriminalprävention durch Umgebungsgestaltung“ übersetzen kann“, sagt Schubert.
Neben Pollern und vergleichbaren Sicherheitsvorkehrungen spielt dabei auch die „sozial verträgliche Größenordnung“ eine wichtige Rolle, in diesem Fall eben die Zahl der Weihnachtsmarkt-Besucher, sagt der Soziologe. „Etwas luftiger zu planen, mehr Freiraum zwischen den Buden zu haben, das Raumkonzept so zu gestalten, dass sich nicht übermäßig viele Leute auf einem Fleck versammeln – das wären sicherlich sinnvolle Schritte“, sagt Schubert.
Zu viele Polizisten verunsichern die Besucher
Zufahrtskontrollen der Polizei, Sicherheitsbeamte auf dem Markt und andere Einsatzkräfte: Die Sicherheitsvorkehrungen sollten mit Augenmaß gewählt sein, um die Besucher nicht unnötig zu verunsichern. Von einer „umgekehrten U-Kurve im Zusammenhang von Polizeipräsenz und Sicherheitsgefühl“ spricht der Psychologie-Professor Ulrich Wagner. „Wenn überhaupt keine Sicherheitskräfte vor Ort sind, neigen die Menschen tendenziell dazu, sich eher zu fürchten. Bei etwas Polizeipräsenz steigt das Sicherheitsgefühl, während es bei einer Hundertschaft von Polizisten wieder stark abnimmt“, sagt der Psychologe.
Er hebt indes den positiven psychologischen Effekt des Weihnachtsmarkt-Besuches hervor. „Wenn es derzeit viele Krisen, Kriege und Konflikte auf der Welt gibt, kann uns ein solches Ritual Sicherheit verschaffen und uns zur Ruhe kommen lassen, weil wir es kennen und vertraut damit sind.“ Insofern lauert die wahre Gefahr womöglich darin, sich zu viel Sorgen zu machen und auf einen Besuch zu verzichten.