BELASTUNGSSTÖRUNG

PTBS bei Bundeswehr: “Mühe, alle Patienten unterzubringen”

Bundeswehr Soldat im Einsatz Afghanistan. Nach Bundeswehr-Einsätzen leiden viele Soldaten unter Traumatisierungen. Foto: Amber Clay / Pixabay

| Erschienen in Politik |

Soldatinnen und Soldaten leiden nicht selten unter den seelischen Folgen ihres Dienstes im Ausland. Ein Bundeswehr-Oberstabsarzt aus Berlin beschreibt Systemmängel und Defizite beim Umgang der Bundeswehr mit Soldaten, die an posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) leiden.

Berlin Das Afghanistan-Desaster, mangelnde Ausstattung bei Auslandseinsätzen, fehlendes Personal: Die neue Verteidigungsministerin Christina Lambrecht (SPD) hat bei ihrer Vereidigung bekräftigt, dass sie Auslandseinsätze regelmäßig auf Exit-Strategien überprüfen will. Soldatinnen und Soldaten leiden nicht selten unter den seelischen Folgen ihres Dienstes im Ausland. Für psychische Erkrankungen bei Soldaten ist Berlin für Patienten bundesweit eine der wichtigsten Anlaufstellen. Jeder Veteran, der unter den Folgen seines Einsatzes an einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet, muss sich am Bundeswehrkrankenhaus in Mitte vorstellen.  

In der Hauptstadt gibt es auch die eine Tagesklinik der Bundeswehr für psychische Erkrankungen. Die Hilfsangebote sind so wichtig wie nie zuvor: Im ersten Halbjahr 2021 waren 1.181 aktive Soldatinnen und Soldaten und ehemalige Angehörige der Bundeswehr wegen PTBS in Behandlung. Oberstabsarzt Professor Dr. med. Peter Zimmermann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus der Hauptstadt, arbeitet im Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie. Er berichtet von steigenden Fallzahlen und sagt, warum es mehr Aufklärung über die psychischen Erkrankungen der Truppe braucht. 

Herr Prof. Zimmermann, Sie arbeiten an einer der größten Anlaufstellen der Bundeswehr für psychische Probleme. Wie sieht Ihr Angebot genau aus?   
  
Wir sind Anlaufstelle für aktive Soldaten aber auch ehemalige Soldaten und Zivilangestellte der Bundeswehr. Zusätzlich behandeln wir Einsatzkräfte, u.a. von Polizei und Feuerwehr. Als erstes geht es darum, einen Beratungskontakt zu den Betroffenen herzustellen. Er kann über eine Telefon-Hotline, auch anonym erfolgen. Oft kommen diese Kontakte auch von Sozialarbeitern, Psychologen oder Allgemeinärzten an Bundeswehrstandorten, die sie an uns weiterleiten. Es gibt sogar eine Website und eine App mit digitalen Kontaktformularen, die auf Wunsch auch anonym ausgefüllt werden können.   

Warum ist Anonymität so wichtig?   
    
Wir brauchen diese Möglichkeiten, weil wir es in vielen Fällen mit Stigmatisierungsängsten zu tun haben. Viele trauen sich nicht, sich zu melden, haben Befürchtungen was danach alles passieren kann, sie wollen nicht als krank gelten, sind besorgt, von Vorgesetzten und Kameraden nicht mehr ernst genommen zu werden, verbunden auch mit Karrierenachteilen. Deshalb sind solche niederschwelligen Kontaktangebote, wie wir sie nennen, sehr wichtig.
  
Wie geht es dann weiter?   
    
Nach der Kontaktaufnahme kommt es zu einem ersten ambulanten fachärztlichen Gespräch hier in Berlin. Für aktive Soldaten geht dies auch an anderen Bundeswehrkrankenhäusern und Facharztzentren, für Ehemalige, also Veteranen, nur hier in Berlin. Wir verschaffen uns eine grobe Orientierung, sprechen über Versorgungsrecht bringen Anträge auf den Weg, erstellen einen ersten Behandlungsplan. Meist schließt sich daran als erstes ein drei bis sechswöchiger Aufenthalt in einer Klinik der Bundeswehr an. Der erste Aufenthalt dient der Stabilisierung, es wird z.B. über soziale Kontakte gesprochen, über Selbstfürsorge oder Konfliktlösung, bei Schlafstörungen verordnen wir eine entsprechende Medikation. Hier in Berlin bieten wir auch eine pferdegestützte Therapie und Angehörigenarbeit an. Der Kontakt zu dem Tier baut Vertrauen auf. In der anschließenden Trauma-Konfrontation wird das Trauma mit speziellen Techniken aufgearbeitet, dabei kommen auch Behandlungen für moralische Verletzungen zur Anwendung.

Was sind die ersten Symptome, die auf eine Posttraumatische Belastungsstörung hinweisen?   
  
Im Vordergrund stehen oft hartnäckige Erinnerungen, Schlafstörungen, Unruhe, sozialer Rückzug, aber auch Schuldgefühle oder Zorn sind häufig. Zunächst wird das oft alles mithilfe der Familie und der Kameraden kompensiert. Man schleppt sich dann so durch, um es salopp zu sagen. Erst wenn es dann wirklich nicht mehr geht – und das kann Jahre dauern – haben die Betroffenen Mut, sich in ein Hilfesystem zu begeben. Da es wie gesagt Jahre dauern kann, steigen momentan die Zahlen der Behandlungsbedürftigen an. Es handelt sich dabei um Menschen, die schon seit Jahren mit den Symptomen herumlaufen, sich aber jetzt erst melden.   

Der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan endete im vergangenen Jahr. Foto: JensMo / Pixabay

Die Menschen melden sich erst, “wenn es nicht mehr geht”, sagen Sie. Was bedeutet das konkret?   
    
Die Anzeichen, dass es sich um eine einsatzbedingte psychische Erkrankung handelt, sind vielfältig. Einige Menschen fallen aus ihren sozialen Bezügen heraus. Die Frau hält es nicht mehr aus und trennt sich. Das ist ein häufiger Anlass. Glücklicher sind die, die von der Partnerin vor die Wahl gestellt werden: entweder Du lässt dich behandeln oder ich verlasse dich. Auch das ist ein häufiger Hintergrund. Wieder andere verlieren ihren Arbeitsplatz oder fallen in der Gesellschaft durch aggressive Verhaltensweisen auf. Ein Anzeichen dafür, dass es nicht mehr wie bisher weitergeht, können auch Suchterkrankungen sein, wie häufiger Alkoholkonsum. Das ist oft eine Art Selbstheilungsversuch des erkrankten, weil die Symptome nicht mehr erträglich sind.   

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Hat die Corona-Pandemie die Situation durch die Isolation vieler Soldaten, die vielleicht an PTBS leiden, noch verschärft?   

Das ist nicht ausgeschlossen. Gute soziale Unterstützung ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die Psyche.  
  
Warum müssen alle Veteranen der Bundeswehr, um Hilfe zu bekommen, in Berlin vorstellig werden?   
    
Andere Bundeswehrkrankenhäuser bieten keine ersten Kontaktgespräche für ehemalige Soldaten an. Es gibt dort nur eine sozialdienstliche Beratung. Einen ersten konkreten ärztlichen Kontakt für ehemalige Soldaten gibt es nur in Berlin. Dabei steigen die Zahlen der einsatzbedingten Erkrankungen stetig an: Jedes Jahr stellen sich etwa 200 Personen mit Traumafolgestörungen neu in den Behandlungssystemen vor. Zählt man jene hinzu, die bereits wegen dieser in Erkrankung in Behandlung sind, kommt man insgesamt auf 1116. Diese Zahl steigt von Jahr zu Jahr. 2013 waren es beispielsweise nur 600 sie ist heute damit fast doppelt so hoch.   

Gibt es eine Einschätzung über die Dunkelziffer der PTBS-Erkrankungen?   

In einer epidemiologischen Feldstudie, die wir zwischen 2009 und 2013 durchgeführt haben, hatten ca. ein Jahr nach Einsatzende nur knapp 20% der Teilnehmer angegeben, sich in eine fachgerechte Behandlung begeben zu haben. Die restlichen 80% sind als Dunkelziffer zu verstehen.   
   
Was kann seitens der Bundeswehr getan werden?   
    
Um Menschen zu erreichen, die jahrelang mit Symptomen einer Traumafolgestörung herumlaufen, ohne sich bei einem Arzt vorzustellen, brauchen wir öffentlich wirksame Kampagnen. Wir müssen aktive und ehemalige Soldaten darauf hinweisen, dass es sich um eine ernst zu nehmende Erkrankung handelt, die vom Arzt behandelt werden sollte. Damit könnte man die Zahl derer, die unbehandelt herumlaufen, reduzieren.   
  
Was wäre noch wichtig?   
  
Unsere Versorgungssysteme sind knapp gestrickt. Wir haben Mühe, unsere Patienten unterzubringen. Dafür wären Tageskliniken nötig. Die Bundeswehr hat bislang erst eine einzige psychiatrische Tagesklinik und die ist hier in Berlin, die anderen sind noch im Planungsstadium. Wenn Sie sich dazu im Vergleich einmal den zivilen Bereich anschauen, werden sie feststellen, dass jede psychiatrische Klinik heute heutzutage mindestens eine, meistens drei bis vier Tageskliniken hat. Da gibt es bei der Bundeswehr also ganz sicher noch Nachholbedarf. Hätten wir mehr Kapazitäten zur Behandlung zur Verfügung müsste natürlich dann auch eine dementsprechende Aufstockung im Personalbereich stattfinden.   
  
Glauben Sie, dass es tatsächlich immer noch so viele Soldaten gibt, die nicht umfassend über Trauma und posttraumatische Belastungsstörungen informiert sind?   
    
Es gibt mit Sicherheit viele, die sich ihre Symptome schönreden und nicht wissen, dass es sich wirklich um eine ernsthafte Erkrankung handelt. Andere wissen es und verschleppen es, weil sie sich nicht trauen. Da tut Aufklärung not. Wir brauchen Kampagnen. Die müssen groß aufgezogen werden, wir müssen aktiv auf Betroffene zugehen. Der Appell muss sein: Schaut einmal in euch hinein, ist da vielleicht etwas, was eventuell behandelt werden muss?   
  
Machen Sie bei der Bundeswehr auf diese Defizite aufmerksam?   
    
Ja, das verstehe ich auch als meine Aufgabe. Wichtig wird das Jahr 2023, wenn die sogenannten `Invictus Games` in Deutschland stattfinden sollen. Dort treten auch psychisch im Einsatz verletzte Soldaten auf, nehmen an Sportwettkämpfen teil. Das wäre eine Möglichkeit, auch einmal das Augenmerk auf den Kreis der posttraumatischen Belastungsstörungen zu lenken.   
  
Bis dahin sind es 14 Monate, in denen viel geschehen könnte. Aber das kommt offenbar nur schwer in Gang. Kann es nicht auch sein, dass die Bundeswehr vor einer großen Kampagne zurückschreckt, weil sie die Truppe verletzlich erscheinen lassen könnte?   
  
Diese Frage müssten Sie eher einem Politiker stellen, anstatt einem Mediziner. Was ich für meinen Bereich sagen kann ist: Wir haben steigende Zahlen, wir brauchen mehr Kampagnen.   

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