Verloren in Optionen: Wie Dating-Apps einsam machen

Der Traum von der großen Liebe ist das Geschäftsmodell von Dating-Apps. Foto: Nos Nguyen / Pixabay

Unsere Autorin hat in Großstädten und auf kleinen Inseln gedatet – überall erlebt sie das Gleiche: Moderne Beziehungen leiden an den scheinbar unendlichen Möglichkeiten. Nie waren Menschen leichter auszutauschen. Über eine junge Generation, die sich in ihren Optionen verliert.

Ich bin Dauersingle. Seit acht Jahren war ich nicht mehr in einer festen Beziehung. Das liegt nicht daran, dass mein Liebesleben trostlos ist oder es an sogenannten Situationships, beziehungsähnlichen Zuständen, gemangelt hätte.

Es ist kompliziert, sich mit Mitte zwanzig zu verabreden. Denn moderne Beziehungen sind ein endloses Labyrinth der Möglichkeiten. Ein festgefahrener Konjunktiv. Während das Angebot an potenziellen Partnern scheinbar unerschöpflich ist, sind wir eine der einsamsten Generationen.

Für meine Freundinnen ist mein Liebesleben Unterhaltung pur. Und wer in diesem Kosmos überleben will, braucht auch selbst Humor. Aber während ich von meinen gescheiterten „Dates“, also Verabredungen, berichte – von Männern, die seit Wochen nicht antworten, von Kerlen, die nach nur einem Kaffeetreffen eifersüchtig sind, von Typen, die einen Korb einfach nicht akzeptieren wollen – wird mir auch immer bewusst, dass das Ganze nicht so wirklich funktioniert, dass ich allein bin.

Diese Gespräche folgen immer demselben Muster: berichten, lachen, Selbstzweifel, aufgebaut werden, lachen. Und von vorn.

Mein Liebesleben ist nicht nur eine Aneinanderreihung lustiger Anekdoten, sondern auch ein Spiegelbild einer Generation, die in ihren eigenen Möglichkeiten untergeht. Von politischer Apathie bis zur vermeintlichen Beziehungsunfähigkeit – unserer Generation wurde so einiges attestiert. Die scheinbar unendliche Auswahl an Optionen führt jedoch nicht dazu, dass wir eher jemanden finden, der oder die zu uns passt. Im Gegenteil.

Die Anzahl der Single-Haushalte steigt, die Einsamkeitstendenz nimmt zu. Woran das liegt? Wir wollen unsere Freiheit nicht aufgeben. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung kollidiert mit der Sehnsucht nach tiefer Verbindung. Wir wollen Karriere machen, die Welt sehen, uns selbst finden und all das bitte, ohne eingeschränkt zu werden – auch nicht durch eine Beziehung.

In der Single-Szene in Großstädten gipfelt dieses Phänomen. Hamburg, Berlin, München. Überall habe ich gelebt, überall gedatet. Überall ist es das Gleiche. Alles geht, theoretisch – aber am Ende geht nichts. Vergangenen Sommer habe ich so viele Männer getroffen, dass meine Freunde sich die Namen nicht merken konnten.

Manche erste Treffen beginnen wie im Film – man zieht die ganze Nacht durch die Straßen, singt in Bars, knutscht rum – und enden dann mit dem Satz: „Wir schreiben“. Für einen Abend hat man sein Leben geteilt. Dann hört man nie wieder etwas voneinander.

Liebe als verhandelbares Gut durch Dating-Apps

Am Ende geht es darum, sich die Gelegenheit offenzuhalten, selbst wenn man sie verstreichen lässt. So funktioniert die sogenannte FOMO, die „Fear of Missing Out“ – die ständige Angst etwas zu verpassen. Das tollste Treffen, der neuste Flirt, die beste Option. Die Angst davor, eine endgültige Entscheidung zu treffen, lähmt.

Man geht eher einen Schritt zurück, als sich auf jemanden einzulassen. Die Liebe ist zu einem handelbaren Gut geworden, ökonomisiert durch Dating-Apps und die als selbstverständlich erachteten dauerhaften Verfügbarkeiten von anderen Personen. Wir daten nicht, um andere Menschen zu finden, wir daten, um andere Menschen zu konsumieren. Wir vermarkten uns wie Produkte und werden selbst genauso ausgewählt, bewertet und verglichen.

Moderne Liebesbeziehungen folgen den Gesetzen des Marktes. Keine hat das besser herausgearbeitet als die Soziologin Eva Illouz. Sie versteht Sexualität als Konsumprodukt. Die eigentlich dazugehörenden Gefühle müssen sich in einem Konkurrenzkampf behaupten.

Durch die Entkopplung der Sexualität von Emotionen und gesellschaftlichen Erwartungen wird jede Bindung als potenzieller Angriff auf die Selbstverwirklichung gesehen. Und wieso sollten wir diese Freiheit aufgeben? Etwa für die Liebe?

Als ich mich dann im Sommer auf jemanden eingelassen habe, ist das passiert, was immer kommt: Er muss sich auf sich fokussieren, auf den Job. Er kann gerade keine ernste Bindung eingehen. Er wird mir nicht gerecht. Aber hey, ihm fällt das gerade auch echt schwer und es liegt nicht an mir. So etwas haben wir alle schon gehört und alle schon selbst gesagt.

Dating-Apps sind Fluch und Segen des Singlelebens

Du kannst jeden Tag mit jemandem schreiben, ihn immer wieder sehen, seine Freunde kennenlernen, mit ihm schlafen – am Ende ist es alles belanglos. Von einem auf den anderen Tag spricht man nie wieder miteinander. Und ein paar Wochen später sieht man sich auf der Dating-App, auf der man sich kennengelernt hat.

Dating-Apps sind Fluch und Segen des Singlelebens. Nirgendwo bekommt man schneller Bestätigung, und nirgendwo schlägt einem die geballte Unverbindlichkeit der Dating-Kultur stärker entgegen als dort. Diese Generation hat mal Pokémon-Karten und Diddle-Blätter gesammelt – heute sammelt sie sogenannte Matches. Die entstehen, wenn sich zwei Personen auf einer Dating-App gefallen. Sie sind der Beweis, dass andere Personen einen im Sumpf der Möglichkeiten ausgewählt haben.

Nach Dating-Apps bin ich so süchtig, wie ich von ihnen gelangweilt bin. So viele Gelegenheiten und so viel mehr Einsamkeit. Ständig sind wir mit Fremden verbunden, ohne eine Verbindung zu ihnen zu haben. Wir sind schnell begeistert und noch schneller desillusioniert.

Ich wische dich auf meinem Display entweder nach links oder rechts. Ob wir uns schreiben werden, weiß keiner von uns. Ob wir uns antworten werden, noch weniger. Ghosting, der plötzliche Kontaktabbruch, ist schon so normal, dass ich mich nicht mehr wundere, wenn jemand mir nicht antwortet. Ich antworte selbst nicht mehr.

Diese sexuelle Freiheit bedeutet auch: Mit jemandem ins Bett zu gehen, heißt erst einmal gar nichts. Alles, was danach kommen könnte, ist alles andere als selbstverständlich. Beieinander schlafen, etwas essen gehen, die Freunde kennenlernen – all das steht für mehr Bindung. Dabei war es nie leichter, sich zu verlieben, und nie schwieriger, zusammenzukommen.

Was ist der Unterschied zwischen allein sein und einsam sein?

Nie war es so einfach, unverbindlich Menschen zu treffen und sie direkt wieder auszutauschen. Aber mit jeder Zurückweisung, jeder Verletzung entwickelt unsere Psyche unbewusste Verhaltensweisen, um so etwas zukünftig zu vermeiden. Darum finden wir so schnell Fehler bei unserem Gegenüber. Darum haben wir so hohe Ansprüche und Erwartungen. Darum ist nie jemand gut genug. Aber wir auch nicht für jemand anderes.

Die Welt, in der wir leben, ist auf den Lebensentwurf zu zweit ausgerichtet. Single sein gilt als Übergangsphase zwischen Beziehungen. Doch was ist der Unterschied zwischen allein sein und einsam sein?

Dating-Apps versprechen, dass sich Einsamkeit mit ein paar Wischbewegungen vertreiben lässt. Sie bieten die Antwort auf die Sehnsucht, die mehr in unserer Gesellschaft als in uns selbst entstanden ist. Einsamkeit sollte aber nicht dort aufkommen, wo wir beginnen, allein zu sein. Sondern dort, wo wir tatsächlich den Anschluss zu anderen Menschen verlieren.

Während die Suche nach Liebe mehr zu einem Wettbewerb geworden ist, müssen wir lernen, uns nicht zu verlieren. Statt dem perfekten Partner nachzujagen, sollten wir uns auf Beziehungen konzentrieren, die uns nicht einsam fühlen lassen. Ich finde vieles davon in Freundschaften. An sie habe ich nicht die Ansprüche, die ich an romantische Beziehungen habe. Und so erkenne ich, dass in diesem Labyrinth aus Möglichkeiten und der Suche nach Liebe die wichtigsten Verbindungen schon Teil meines Lebens sind. Wer in einem Meer von Optionen schwimmt, darf den Rettungsring nicht übersehen.

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