Professionelle Treuetester flirten vergebene Männer und Frauen an – im Auftrag von deren Partnern. Welche Anzeichen es gibt, dass man betrogen wird, wie die Treuetests funktionieren und ob sie ihren Job für unethisch halten, berichten zwei Testerinnen.
Am Anfang steht Misstrauen. Und Verdacht. Er dreht sein Handy um. Macht Überstunden, die es vorher nicht gab. Drückt Anrufe weg. Hat er Geheimnisse? Was verbirgt er? Der heimliche Blick auf sein Smartphone gibt erste Aufschlüsse: die Anmeldung auf einem Flirtportal. Kontakte auf dem Messenger zu anderen Frauen, vielleicht sogar Nacktbilder von ihnen. Eindeutige Indizien. Doch er streitet alles ab, dreht den Spieß um: „Warum misstraust du mir? Du bist ja krankhaft eifersüchtig!“.
Therese Kersten hat das erlebt. Sie war als junges Mädchen, gerade volljährig, mit einem wesentlich älteren Mann zusammen. Es gab Anzeichen, starke sogar, und es gab Lügen. „Du bildest dir das alles nur ein“, bekam Kersten zu hören, immer wieder. „Er hat mich behandelt, als ob ich einen Dachschaden hätte“, erinnert sich die heute 34-Jährige. Zunehmend misstraute die junge Frau nicht nur ihrem Partner, sondern ihrer eigenen Wahrnehmung und Intuition. Kersten brauchte Gewissheit. Spionierte ihrem Partner nach, stalkte ihn. Und fand heraus, dass ihr Verdacht berechtigt war, sie seit Jahren betrogen wurde. Ein Schock.
„Ich hätte gerne jemanden gehabt, der mir dabei hilft, Gewissheit zu bekommen“, blickt Kersten heute, 16 Jahre später, zurück. Doch diese Hilfe gab es nicht. Dafür eine Idee. „Mir war klar, dass es nicht nur mir so ergeht“. Kersten dachte diesen Gedanken zu Ende und handelte: 2010 gründete die in Schönebeck in der Nähe von Magdeburg geborene Frau im Alter von gerade mal 20 Jahren in ihrer neuen Heimat Wien ein „One-Woman-Unternehmen“. Ihrer Agentur, der ersten ihrer Art, verpasste sie den zielführenden Namen „Die Treuetester“.
Treuetesterin im Einsatz: Wie sie mit der Arbeit anfing
Aus ihrer heutigen Sicht „ziemlich unbeholfen“ machte sich die damals gerade 20-Jährige an vermeintlich untreue Männer im Auftrag von deren Partnerinnen ran und flirtete mit ihnen. Bei ihrem ersten Auftrag lauerte sie einem Mann im Zug auf, rang um Worte und hatte dann Glück: Die Zielperson zog ausgerechnet ihr eigenes Lieblingsbuch aus der Tasche – das Thema der Kontaktaufnahme war gefunden. „Ich war bei jedem Einsatz nervös“, blickt sie zurück. Bald halfen die „Freundinnen aus der Mädelsclique“ als Treuetesterinnen aus. Später dann zog die Website der neuen Agentur nicht nur erste Kundinnen, sondern weitere Frauen und auch Männer an, die bereit waren, die Flirtbereitschaft der Zielpersonen auf die Probe zu stellen.
Inzwischen ist Therese Kersten nicht mehr selbst an vorderster Flirt-Front aktiv. Dafür hat die Agentur, die sie noch immer leitet und die inzwischen weltweit agiert, über 3.000 Tester und Testerinnen für solche Einsätze in der Kartei. Gut zwei Drittel Frauen, knapp ein Drittel Männer. Das bildet ziemlich genau die Geschlechtsverteilung ihrer Kundschaft ab, die zu etwa 70 Prozent weiblich und zu 30 Prozent männlich ist.
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Die Motive fremdzugehen sind dabei bei beiden Geschlechtern unterschiedlich, weiß Kersten aus ihrer jahrelangen Erfahrung: Während Männer vor allem nach sexuellen Abenteuern suchen, gingen Frauen „eher aus emotionalen Gründen fremd, suchten beim Lover die Wertschätzung und Aufmerksamkeit, die sie in der Beziehung nicht mehr erhielten“.
Schwerpunkt der internationalen Treuetester-Aktivitäten ist nach wie vor die Bundesrepublik und hier – so weist es die hausinterne Statistik aus – steht Baden-Württemberg an erster Stelle. Vor allem aus der Landeshauptstadt Stuttgart, aber auch aus den ländlichen Regionen des Bundeslandes, kommen bundesweit die meisten Anfragen. Warum das so ist, weiß Therese Kersten nicht zu sagen. Andere Agenturen, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden sprossen, haben ihren Fokus ebenfalls auf das südwestliche Bundesland gelegt. So bietet etwa die Agentur „Law-Love“ ihre Treuetest-Dienste in den zehn einwohnerreichsten Städten von Baden-Württemberg an.
Im Raum Stuttgart arbeitet auch die kaufmännische Angestellte Mona L.* nebenberuflich als Treuetesterin in der Agentur von Therese Kersten. Als sie Kersten in einem Fernsehfeature sah, erweckte der Bericht ihre „Lust auf etwas Ungewöhnliches“. Sie fand die Idee „faszinierend, Menschen dabei zu helfen, herauszufinden, ob ihr Partner treu ist“ und wollte verstehen „was Menschen dazu bewegt, untreu zu sein.“
Inzwischen ist die heute 41-Jährige seit zwei Jahren Treuetesterin und regelmäßig im Einsatz. Viele Einsätze beginnen mit einem Chat-Kontakt, der mehrere Tage oder Wochen dauern kann, sagt sie. Zu Live-Treffen komme es hingegen seltener. Sie kommen „nur dann zustande, wenn der Auftraggeber es ausdrücklich wünscht und die Person im Chat genug Interesse zeigt“.
Das persönliche Date ist die Ausnahme im Alltag aller Testerinnen und Tester, auch Observationen sind eher selten. Meist nehmen sie stattdessen unter einem Vorwand über Instagram oder Facebook, WhatsApp oder Telegram Kontakt mit der Zielperson auf und schauen, wie diese reagiert. Verschweigt sie, dass sie verheiratet ist, unterschlägt sie Ehefrau und Kinder? Ist der Mann bereit Kontaktdaten auszutauschen und zu daten? Steigt er aktiv auf einen Flirt ein? Lenkt er den Chat auf eine sexuelle Ebene? „Es geht darum, herauszufinden, wie empfänglich die Zielperson für Flirts oder mehr ist“, sagt Mona L.
„Diese Erkenntnisse reichen den meisten Kundinnen, um Klarheit zu bekommen“, verrät Therese Kersten. Zu einem Face-to-Face-Kontakt käme es nur bei etwa einem Prozent aller Aufträge. Denn der ist mit mindestens 450 Euro Minimum mehr als zehnmal so teuer wie ein Chatkontakt, der schon für 44 Euro zu haben ist.
Treuetests: Rund 60 Prozent der Männer zu Treffen bereit
Eine Erfolgsstatistik der Treuetester gibt es nicht, denn Untreue ist relativ. „Wir legen unseren Kundinnen und Kunden die Ergebnisse unserer Recherche vor, bewerten sie aber nicht“, erläutert Agenturchefin Kersten und ergänzt: „Einigen reicht es schon, wenn Nummern ausgetauscht werden, bei anderen ist erst ein Treffen mit sexuellen Absichten die Grenze.“
Etwa 70 Prozent der Männer zeigen im Chat Interesse und ungefähr 60 Prozent sind auch bereit, sich auf Treffen einzulassen”, weiß Mona L. aus ihrer Arbeitserfahrung zu berichten. Die seltenen Treffen fänden öffentlich, „in Cafés, Restaurants oder Bars statt, um eine unverfängliche Atmosphäre zu schaffen“.
Mona L.´s Gesprächsstrategie? „Ich versuche, eine natürliche Konversation zu führen, ohne dabei zu drängen“, berichtet sie. „Es geht weniger darum, jemanden zu „entlarven“, sondern darum, zu beobachten, wie die Person sich verhält, wenn sich die Möglichkeit ergibt, Grenzen zu überschreiten.“ Was faktisch nie passiert. „Für mich ist die Grenze dort, wo der Kontakt eindeutig wird und achte sehr darauf, dass es nicht zu physischen Annäherungen kommt. Sobald es eindeutige Angebote oder sexuelle Anspielungen gibt, ziehe ich die Reißleine und beende den Test“. Denn das Ergebnis sei dann ja schon ohnehin klar. „Beim Kuss ist Schluss“, betont auch Therese Kersten.
Dem Kunden, der verlangte, der Treuetester solle mit seiner Frau schlafen, damit sie wirklich überführt werde, erteilte die Treuetest-Unternehmerin einen Korb: Da müsse er sich einen ganz anderen Dienstleister suchen. Bei männlichen Auftraggebern ist besonders der Spermaspurentest, den die Agentur anbietet, beliebt. Eingeschickte Wäschestücke oder Bettlaken werden dabei von einem von der Agentur beauftragten Labor auf entsprechende Rückstände untersucht. Nur in Einzelfällen komme es vor, so die Agenturchefin, dass krankhafte Eifersucht und Kontrollzwang der Auftraggeber:innen und nicht die Untreue das wahre Problem der Beziehung seien. Wenn dieser Verdacht besteht, lehnt die Agentur auch schonmal einen Auftrag ab.
Ethische Bedenken, möglichen Ehebrechern und Fremdgängerinnen nachzuspüren, hat Kersten keine. Die Frage, ob die Tests nicht noch eine Misstrauenskultur in der Beziehung verstärken, die diese von innen her zerstört, wehrt sie ab: „Wer Indizien dafür hat, dass der Partner nicht treu ist, hat das Recht zu wissen, woran er ist.“
Auch Mona L. hat keine moralischen Skrupel, einen Mann flirtend aufs Glatteis zu führen: „Ich sehe meinen Job als notwendig an. Wenn jemand Zweifel an der Treue seines Partners hat, sind diese meist ein Symptom für größere Beziehungsprobleme. In solchen Fällen kann ein Treuetest Klarheit bringen.“ Dennoch sei der Job „moralisch herausfordernd“ für sie, existiere in ihr „ein gewisser Zwiespalt, weil ich aktiv eine Situation schaffe, die nicht real ist. Ich versuche, ethisch zu handeln, indem ich niemanden manipuliere“, erklärt die 41-Jährige und lässt dabei offen, ob ihr das auch immer gelingt.