Am 1. Juni ist Weltkindertag. Weil am Rhein in Baden-Württemberg ist die erste Stadt in Deutschland, die dauerhaft das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“ trägt. Wie die Verwaltung auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen reagiert.
Der Job erfordert Einsatz. Nicht-öffentliche Sitzungen in Jugendtreffs, öffentliche Sitzungen im Rathaus, Runde Tische an den Schulen. Die 16 Jahre alte Rawan Farkouh hat viele Termine. Sie ist Mitglied des Jugendparlaments der Stadt Weil am Rhein und vertritt die politischen Interessen von Kindern und Jugendlichen. Dabei wird sie gelegentlich auch mit Wünschen konfrontiert, die unerfüllt bleiben müssen. „Neulich wollte eine Grundschülerin, dass unsere Stadt einen eigenen Freizeitpark, einen Europapark, bekommt“, sagt sie schmunzelnd.
Rawan Farkouh will anderen helfen, profitiert aber auch selbst von Ihrem Engagement im Jugendparlament. Im Jahr 2020 zog sie mit ihren Eltern von Lörrach nach Weil am Rhein. In ihrer neuen 8. Klasse erfuhr sie vom Jugendparlament der Stadt. Ihr Interesse war geweckt. „Ich fand die Idee, selbst zu kandidieren, sofort spannend, weil ich so meine neue Umgebung viel besser kennenlernen konnte und verstehen konnte, was man besser machen kann“, sagt die 16-Jährige. Die Jugendparlamentarier können gestalten: Sie können Themen sogar im Gemeinderat von Weil am Rhein einbringen und platzieren ihre Interessen direkt bei der Bürgervertretung.
Kinderrechte: Weil am Rhein ist „kinderfreundliche Kommune“
Die parlamentarische Jugendvertretung in Weil am Rhein ist zwar keine Ausnahme. Seit den 1960er Jahren wurden in ganz Deutschland ähnliche Gremien gegründet, um Jugendliche an die Demokratie heranzuführen. Baden-Württemberg sticht mit der höchsten Zahl von 101 Versammlungen heraus. Dennoch ist Weil am Rhein mit Blick auf die Kinderrechte keine Stadt wie jede andere. Als erste in Deutschland trägt sie dauerhaft das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“.
Im Auftrag von UNICEF Deutschland und dem Deutsche Kinderhilfswerk zeichnet der Verein „Kinderfreundliche Kommune“ seit 2014 Städte und Kommunen aus, die sich besonders um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention bemühen. Normalerweise wird das Siegel für drei Jahre vergeben. Weil am Rhein hat es bereits zweimal erfolgreich erhalten und trägt es seit November 2023 unbefristet, solange die „Kinderrechts-Standards“ weiterhin eingehalten werden.
Was macht die Stadt besonders kinderfreundlich? Michaela Rimkus, Kinder- und Jugendbeauftragte von Weil am Rhein, erinnert sich an den Beginn des Engagements. „Unser Oberbürgermeister Wolfgang Dietz war nach einem Besuch in der Nachbarkommune Riehen in der Schweiz ganz elektrisiert, weil so viele engagierte Kinder und Jugendliche bei einer Veranstaltung der Verwaltung teilgenommen hatten“, sagt Rimkus. Das war im Jahr 2011, also noch bevor das Siegel „Kinderfreundliche Kommune“ in Deutschland aufgelegt wurde. Die Schweiz hatte bereits ein ähnliches Kinderrechte-Programm etabliert. In Weil am Rhein fragte man sich, wie die Gemeinde nachziehen konnte: Es gab einen ersten Kontakt zu UNICEF und zu dem sich gerade gründenden Verein. Mit einem Gemeinderatsbeschluss verpflichtete sich die Stadt an einer Pilotphase des neuen Projekts zu beteiligen. Als die Siegel-Pläne des Vereins konkret wurden, fiel das in Weil am Rhein auf fruchtbaren Boden.
Für die Bewerbung um das Siegel musste zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Der Verein „Kinderfreundliche Kommune“ half mit einem Verwaltungsfragebogen, um den Status Quo zu ermitteln. In Anlehnung an die weltweite Initiative „Child-friendly Cities“ (CFCI) wurden Fragen abgeleitet, die vor Ort eine Rolle spielen. Wie steht es um den Kinder- und Jugendetat der Stadt? Inwiefern sind Kinder- und Jugendliche am öffentlichen Leben beteiligt? Wird das Kindeswohl auch im öffentlichen Raum berücksichtigt? Und zum Beispiel: Werden Kinder und Jugendliche ausreichend über ihre Rechte informiert? „Ähnliche Fragen haben wir dann auch denjenigen gestellt, die es betrifft: In einer großen Schülerbefragung in allen 5. Klassen der Stadt haben wir einen ersten Überblick zum Freizeitverhalten bekommen und inwiefern Kinderrechte bei den Kindern bekannt sind“, sagt Rimkus.
Fotosafari durch die Stadt
Die Stadt organisierte für Kinder und Jugendliche Streifzüge durch die Stadt. Eine Art kritische Fotosafari: Die Grundschüler und Jugendlichen fotografieren alles, was ihnen gefiel, wo sie sich Verbesserungen wünschten, und diskutierten darüber. In einem Workshop wurden die Erkenntnisse zusammengetragen: Am Bahnhof fehlten Fahrradständer und einige Mülleimer waren überfüllt. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass es an Orten fehlte, an denen man sich als junger Mensch aufhalten konnte, ohne etwas essen und trinken zu müssen. Aber auch raue Holzparkbänke wurden bemängelt, an denen sich Mädchen die Strumpfhosen zerrissen.
Die Stadt kam vielen Wünschen nach. „Im Rheinpark, einer unserer größeren Grünanlagen, haben wir zum Beispiel einen roten Schiffscontainer als Treffpunkt platziert“, sagt Rimkus. Sportbegeisterten Jugendlichen fehlte eine Möglichkeit, um draußen zu trainieren. Die Stadt plante in enger Abstimmung mit den Jugendlichen den „Street Workout-Park“, in dem man sich an einigen Stangen, Holmen und Barren auspowern kann. „Für die Herbst- und Wintermonate haben wir ein Projekt unter dem Namen Nachtsport etabliert, sozusagen unsere Winterreifen mit Blick auf Sportmöglichkeiten“, sagt Rimkus. Unter dem Motto „Sport. Chillen. Games“ können 14- bis 20-Jährige eine große Sporthalle freitags von 21.30 Uhr bis 24 Uhr besuchen, Sport treiben und den Abend zusammen verbringen. Die Angebote werden laut Stadt von den Kindern und Jugendlichen stark genutzt.
„Es geht uns aber nicht nur um Freizeitprojekte, sondern auch darum, die größere Idee der Kinderrechte in der Stadt greifbar zu machen“, sagt die Kinder- und Jugendbeauftragte Rimkus. Dabei hilft der sogenannte Kinderrechte-Weg. Grundschüler erarbeiteten in einem Workshop, welche Kinderrechte sie kennen und mit welchen Orten in der Stadt sie diese verbinden. So entstanden acht Stationen mit großen Schildern, auf denen selbstgemalte Bilder der Kinder und Erklärungen zu den jeweiligen Kinderrechten zu sehen sind.
Eine Tafel zum „Recht auf Gesundheit und eine saubere Umwelt“ steht im Rheinpark, das „Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung“ bei einer Freiluft-Sporthalle und das „Recht auf Schutz im Krieg und auf der Flucht“ bekam eine Info-Tafel nahe der Dreiländerbrücke, an der die Grenzen von Deutschland, Frankreich und der Schweiz aufeinandertreffen. „Gerade durch den Krieg in der Ukraine ist vielen Kindern bewusst geworden, was für ein Glück es ist, hier in Frieden zu leben und zu wissen, dass das früher auch mal anders gewesen ist“, sagt Stadtmitarbeiterin Rimkus.
Ein weiteres Schild weist auf das „Recht auf freie Meinungsäußerung und Beteiligung“ hin. Rawan Farkouh aus dem Jugendparlament von Weil am Rhein kann bestätigen, dass sie dieses Recht in ihrer Heimatstadt wahrnehmen kann. „Die Stimmen von Kindern und Jugendlichen werden hier gehört“, sagt sie. Man könne etwas bewegen und mitgestalten. Das sei ein gutes Gefühl.
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