Tools im Job: Warum zu viel Effizienz den Erfolg gefährden kann

Büroarbeiter am Laptop: Tools wie Trello und Asana versprechen effektive Workflows. Foto: Adobe Stock / ipuwadol Büroarbeiter am Laptop: Tools wie Trello und Asana versprechen effektive Workflows. Foto: Adobe Stock / ipuwadol

Time-Boxing, Fokus-Zeiten, Pomodoro-Methode: Diverse Tools sollen den Arbeitstag produktiver und uns erfolgreicher machen. Doch der ständige Fokus auf Effizienz hat auch negative Folgen.

Hamburg. Wer Ideen entwickeln will, die zum Erfolg führen, sollte sich laut der Psychologin Jennifer Haase einen besonderen Mechanismus unseres Gehirns bewusst machen: Sie sind auf einer Cocktailparty, Gläser klirren, im Hintergrund plätschert Jazz und Sie unterhalten sich in einer Runde von Gästen, in der man hitzig über ein aktuelles Thema spricht. Plötzlich fällt in einer anderen Gesprächsrunde einige Meter entfernt Ihr Name und Sie horchen auf – obwohl Sie sich voll auf Ihren Kreis konzentrierten.

„Das sagt zwei Dinge über unser Denken aus“, sagt Psychologin Haase. „Erstens: Wir nehmen die ganze Zeit viel mehr auf, als uns bewusst ist und wir verarbeiten, weil wir sehr stark selektieren.“ Und zweitens: Der im Hintergrund fließende Strom an unbewussten Eindrücken, die Gespräche der anderen werden von unserem Gehirn unbemerkt ausgewertet und bekommen unsere Aufmerksamkeit erst, wenn sie uns wichtig erscheinen. Wer hat da gerade unseren Namen gesagt? Vielleicht verlassen wir unsere langsam anstrengende Gesprächsrunde und führen nebenan die Unterhaltung des Abends, möglicherweise lernen wir den Menschen unseres Lebens kennen.

Tools für Job und Workflow: Effektive Planung kann Kreativität bedrohen

Das „Cocktailparty“-Phänomen führt Haase an, um zu zeigen: Zu viel Fokus auf das Naheliegende kann den großen Erfolg verhindern. Die Psychologin untersucht am Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin den technologischen Einfluss von Software auf unser Arbeitsleben. Sie forscht dazu, was viele im Berufsleben aus schmerzhafter Erfahrung kennen. Kalendereinträge schieben sich in Teams-Chats, Einladungen zu Calls poppen auf, die Notizen in To-do-Listen und Karten in Trello-Boards stapeln sich zu Bergen aus unerledigten Aufgaben.

Produktivitätstools wie Trello, Asana, ToDoist und Co. sind geeignet für alle Fleißarbeiten, „To Get Shit Done“-Methoden nennt sie Haase. Sie verbessern unsere Zeitplanung und unseren Fokus, aber können uns die Weitsicht nehmen, neue Gedanken und Lösungen zu entdecken. Sie sind effektiv, aber nicht langfristig zielführend. Reine Effizienzfallen.

Neue, kreative Lösungen entstehen so nicht. Aber wie dann?

Erfolg im Job: Geht es ganz ohne Effizienz?

„Um sich klarzumachen, wie Innovationen entstehen und warum manche digitalen Werkzeuge kontraproduktiv sind, ist ein Vier-Phasen-Modell sehr hilfreich“, sagt Psychologin Haase. Etabliert hat sich ein Modell, das der Sozialpsychologe und Mitgründer der London School of Economics (LSE) Graham Wallas 1926 in seinem Buch „The Art of Thought“ entwickelte. Es zeigt, welche Phasen kreative Arbeit durchläuft.

  1. Vorbereitung („Preparation“): Zunächst braucht es ein grundsätzliches Verständnis vom Sachverhalt. Intensive Auseinandersetzung fördert ein Problem oder eine Frage zutage, die nicht schnell zu lösen ist. „Man kommt immer zu einem gewissen Punkt der Frustration, weil die Lösung nicht offensichtlich ist“, sagt Haase. Etwas Leidensfähigkeit gehört dazu.
  2. Inkubation („Incubation“): Wer zum Prokrastinieren neigt, wird diese Phase lieben: Salopp gesagt geht’s ums Nichtstun. Zumindest was unser bewusstes Nachdenken betrifft. Wir wenden uns von der Problemstellung ab und suchen Zerstreuung, indem wir einen Spaziergang machen, uns mit etwas ganz anderem beschäftigen. Hier greift der oben erwähnte „Cocktailparty“-Effekt: Zwar beschäftigen wir uns nicht bewusst mit einem Thema, Neurologen sprechen davon, dass in diesem „Entspannungsmodus“ andere Hirnareale als beim konzentrierten Denken stärker aktiviert werden.
  3. Erleuchtung („Illumination“): Das ist der berühmte Heureka-Moment (altgriech. Heúrēka für „ich habe es gefunden“). „Das ist meist eine sehr kurze Phase“, sagt Psychologin Haase. Plötzlich hat man den Einfall für einen guten Einstieg für eine Rede oder eine neue, erfolgversprechende Geschäftsidee.
  4. Verifikation („Verification“): In der letzten Phase wird die Idee überprüft. Erfüllt sie einen Zweck und ist wirklich nützlich? Neu allein reicht nicht. Hier übernimmt das rationale Denken wieder die Steuerung. Auch die Umsetzung gehört dazu. Bestenfalls in einem produktiven Prozess, in dem die Idee zu einem kreativen Produkt verarbeitet wird. „Für alle vier Phasen gilt: Meist ist es kein linearer Verlauf, sondern man springt zwischen einigen Phasen hin und her. Wenn Phase drei oder vier misslingt, geht man zurück zu einer der ersten beiden“, sagt Jennifer Haase.

Die Orte oder Tätigkeiten für die Inkubationsphase, in der wir in den „Entspannungsmodus“ schalten, können ganz unterschiedlich aussehen: die beschriebene Cocktailparty, ein Besuch in der Kunsthalle oder im Kino. Und oft empfehlen Kreativtrainer Hobbys mit den Händen wie Stricken oder das Sich-Versenken in der Meditation. Jeder hat eine individuelle Methode.Verwandte Themen

Bei Tim Leberecht sieht sie wieder anders aus. Der deutsch-amerikanische Autor und Consultant sitzt während des Zoom-Gesprächs auf der Terrasse des Gartens seiner Eltern in Stuttgart. Seine TED Talks auf Youtube haben Millionen Aufrufe, er spricht darin von der Sehnsucht nach einem neuen Wirtschaftsleben, das sich vom erbarmungslosen Takt der Effizienz befreit.

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Leberecht arbeitete jahrelang als Chief Marketing Officer der globalen Kreativ- und Innovationsberatung Frog im Silicon Valley und ist Mitgründer der Netzwerk- und Community-Plattform „House of Beautiful Business“, die Unternehmen und Managerinnen und Managern weltweit helfen will, mit mehr Fantasie, Empathie und Ethik erfolgreich zu wirtschaften.

„Ich habe sehr viele Effizienzfallen beobachten können. Drastisch gesagt führen all die Produktivitätstools dazu, dass wir uns zu Tode kollaborieren. Letztlich erinnern sie mich an die Bullshit-Jobs, von denen David Graeber spricht: Jobs, die nur existieren, um Arbeit zu verwalten, die es ohne sie gar nicht gäbe. Diese Bullshit-Tools schaffen oft zusätzliche Arbeit, sind teils sinnlos oder sogar schädlich“, sagt Leberecht. Er weist wie auch die Psychologin Haase auf ein Risiko hin: dass der Kult um die Effizienz uns verleitet, mit dem erstbesten Ergebnis zufrieden zu sein – und nicht mit dem besten. Für Letzteres brauche es Weitblick.

„Wir neigen dazu, Ideen immer nach ihrem direkten Resultat zu bewerten, aber gute Ideen sind immer eine Verschwendung von Zeit; es geht darum, auch flanieren zu dürfen“, sagt der Autor und Berater. Wer das nicht beherzigt, bekommt ein Problem. „Deutschland ist tatsächlich der Patient Nummer eins und tief im Innovationsdilemma gefangen: Viele Firmen neigen dazu, nachdem sie innovativ waren, nur noch zu optimieren und zu verwalten. Das führt zu Stagnation und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit“, meint Leberecht.

Die besten Ideen erscheinen vielen immer zuerst lächerlich, weil sie kaum jemand versteht. Wer hätte anfangs gedacht, wie erfolgreich es ist, seine eigene Wohnung an wildfremde Menschen übers Internet zu vermieten? „Airbnb ist ein Paradebeispiel für sogenanntes divergentes Denken. Zwei Elemente, die scheinbar nicht miteinander zu vereinbaren sind, werden miteinander kombiniert und schaffen eine Innovation.“ Dazu brauche es eine Kultur, die Zeit fürs Denken lässt und nicht sofort Ergebnisse einfordert: „Google hat eine Kultur, wo Teams auch mal jahrelang an Projekten arbeiten können, die letztlich nicht kommerzialisiert werden. Nur so ist der Raum vorhanden für echte Ideen.“

Time-Boxing und Pomodoro-Technik: Zeitmanagement richtig einsetzen

Effektivitätstools und Zeitmanagement-Methoden wie Time-Boxing sind natürlich nicht per se schlecht. Es kommt, wie so oft, auf den richtigen Einsatz der Werkzeuge an. Alexander Häfner promovierte über Zeitmanagement und leitet bei der Würth Industry die Personalentwicklung.

Erste Frage an den Experten im Zoom-Call: Was sagen aktuelle Studien zu dem Zusammenhang von Zeitmanagement, Effizienz und Leistung? Die Antwort überrascht. „Metastudien zeigen, dass Zeitmanagement eher geringe positive Auswirkungen auf die Leistung hat, wohl aber auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden“, sagt Häfner. Dass man sich besser fühle, erklärt er mit dem Gefühl von Kontrolle, das gut gemachtes Zeitmanagement einem geben kann, was wiederum „mit psychologischer Sicherheit assoziiert sein dürfte“.

Man hat die Arbeit im Griff. Ab einem Punkt könne Planung in Überforderung umschlagen, und die digitalen Werkzeuge laden dazu ein, immer weiter zu planen. „Wer sich immer mehr To-dos in die Liste nimmt, die Arbeitszeit stetig verdichtet, der tappt möglicherweise in die Effizienzfalle. Es drohen Überforderung, Frust und Burn-out“, sagt der Experte.

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Anschlussfrage: Was sollte man vermeiden, um nicht in die Effizienzfalle zu tappen? „Pausen sollten fest eingeplant werden. Und es ist wichtig, Ziele und Aufgaben zu hinterfragen, sich von nicht mehr passenden Vorhaben zu lösen und nicht immer wieder auf den nächsten Tag oder die nächste Woche zu schieben.“Kann zu viel Technologie die Kreativität einschnüren? 

Gut erforscht ist der „Planning Fallacy“, der Planungsfehlschluss, den der berühmte Psychologe Daniel Kahneman eingeführt hat: die Tendenz, ständig zu unterschätzen, wie viel Zeit eine Aufgabe benötigt. Das Phänomen erhöht den Druck im Kalender, die To-dos stapeln sich. Es droht ein Teufelskreis: Effizienztools verleiten zu immer mehr Aufgaben, die sich anhäufen, die Kontrolle entgleitet, und wir vergeben die Chance auf innovative Ideen, die Erfolg versprechen.

Übersetzt auf das Vier-Phasen-Modell von Graham Wallas bedeutet das, die Zeit für eine tiefere Vorbereitung fehlt und die Idee kann sich in der Inkubationsphase nicht entfalten. Deshalb sei laut Häfner zum Beispiel eine „stille Stunde“ am Tag im Kalender wertvoll, in der „man sich mit seinem Lieblingskaffee zurückzieht und Raum für ein Thema nimmt“.

Ein Gedanke ist Häfner wichtig: „Wir sollten die Effizienzbrille auch mal ablegen und uns in der Kaffeeküche mit den Kollegen unterhalten, denn Arbeit hat ja auch eine soziale Funktion.“ Dabei können neue Ideen entstehen, die zum Erfolg führen. Alternativ besucht man eine Cocktailparty.

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