ETFs, Wertpapiere, Sparpläne: Die Optionen, für die Rente anzusparen, sind zahlreich. Wie sollte man ab dem 40. Lebensjahr am besten vorsorgen? Wir haben uns bei Experten zu dem Thema umgehört. Das sind die wichtigsten Ratschläge.
Hamburg. Der 1. September 2051 klingt nach Science-Fiction. Ich habe Glück, mein Renteneintritt fällt auf einen Freitag. Da entstehen Bilder im Kopf. Wie werde ich den Tag feiern? Bestelle ich das Catering für die Party beim Drohnen-Lieferservice? Von dem Restaurant am anderen Ende der Stadt, das dieses herrlich zarte In-vitro-Carpaccio macht? Sind Gäste, die es nicht schaffen, als fotorealistische Hologramme zugeschaltet? Und legt der KI-gesteuerte DJ Musik auf, die er auf die Stimmung der Anwesenden abstimmt?
Es ist ein Blick in die Glaskugel, schon klar. Der Gedanke an den Renteneintritt ist für mich – der vor Kurzem seinen 40. Geburtstag gefeiert hat – so weit weg, dass ich ihn gern aufschiebe. Altersvorsorge? Ja, natürlich. Kümmere ich mich drum. Aber später.
Wer es bis ins mittlere Alter immer noch nicht geschafft hat, ETFs zu sortieren, Steuerersparnisse von staatlich geförderten Rentenversicherungen abzuwägen und die Ruhestandsplanung festzuzurren, der kennt das Unbehagen, das man spätestens empfindet, wenn einem der vollmundige Finanz-Influencer im Netz begegnet. Zeit für mich, einmal durchzurechnen, mit welchen Methoden man jetzt doch noch der Altersarmut entgegenwirken kann.
Anruf bei Niels Nauhauser. Er leitet bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg den Fachbereich Altersvorsorge, kümmert sich also um die persönliche Beratung von Verbrauchern. Die gute Nachricht: „Sorgen müssen Sie sich nicht machen“, sagt der Diplom-Kaufmann. Die knapp 27 Jahre bis zu meinem Renteneintritt böten noch genug Zeit, um den Ruhestand durch Zinsen und Renditen abzupolstern. „Aber ich kann nur dazu raten, sich wirklich jetzt damit zu beschäftigen.“
Sparen für die Rente: Eigenheim, ETF, Riester
Wenn Menschen meines Alters in die Beratung von Nauhauser und seinen Kollegen kommen, geht es oft zunächst um ein Thema: das Eigenheim. Denn wer ein Haus oder eine Wohnung gekauft hat, muss von seiner Rente keine Mietzahlungen bestreiten. „Im Grunde kann jede Form des Vermögensaufbaus auch Altersvorsorge sein“, ermutigt der Fachmann.
Das nächste Thema ist das Ansparen von Kapital. Im Gespräch kristallisieren sich drei Punkte heraus, die dafür entscheidend sind: mein verbleibender Zeithorizont, mein individueller Lebensstil und mein Wunsch, schnell über die Ersparnisse zu verfügen oder eben nicht.
„Auf Sicht von 35 Jahren war der Aktienmarkt immer deutlich rentabler als der Zinsmarkt“, sagt Verbraucherschützer Nauhauser. Klassische Rentenversicherungen wie Riester oder Rürup sind zwar relativ sicher, weil sie den Großteil des Kapitals in festverzinsliche sichere Wertpapiere investieren. „Gegenüber einem Investment in passive Aktien-ETFs auf den MSCI World ergibt sich im Schnitt aber ein Unterschied von drei bis vier Prozentpunkten bei der jährlichen Rendite“, sagt der Finanzexperte.
Konsum: Der Verlockung entkommen
Das klingt zunächst einmal verlockend. Was aber, wenn die Aktienkurse ausgerechnet in dem Moment in den Keller rutschen, in dem ich an mein Erspartes will?
„Diese Frage kommt natürlich oft. Wir reflektieren das mit den Verbrauchern und haben in der Beratung eine Faustformel“, erklärt Nauhauser. Wenn jemand für sich die Entscheidung treffe, sein Depot dürfe nicht mehr als zehn Prozent der investierten Summe ins Minus rutschen, solle man nicht mehr als 20 Prozent der Gesamtsumme am Aktienmarkt investieren. Denn: Im Worst Case halbiere sich der Markt.
Nauhauser weist allerdings darauf hin, dass Kursrutsche in der 35-Jahre-Perspektive eingepreist sind und ein Kursrutsch meist nach vier Jahren wieder ausgeglichen ist.
Autor Leon Scherfig: „Auch mit wenigen Mitteln ist etwas möglich.“ Foto: Privat
Um das 40. Lebensjahr herum haben viele bereits ein höheres Gehaltsniveau erreicht. Wenn doch noch ein Gehaltssprung dazukomme, biete es sich an, einen Teil davon zurückzulegen, statt alles zu verkonsumieren, rät Nicole Negru vom VZ Vermögenszentrum, einem auf Ruhestandsplanung spezialisierten Vermögensverwalter. Denn in einer positiven Gehaltsentwicklung liege eine Verlockung, die sich später rächen könne.
„Mit dem Einkommen ändert sich oftmals der Lebensstandard: eine größere Wohnung, ein anderes Auto oder teurere Reisen. Wer das Glück hat, davon zu profitieren, sollte auch die Sparquote höher ansetzen“, sagt Negru.
Grundsätzlich sei es nie zu spät, mit dem Sparen anzufangen. Ganz falsch sei es, Torschlusspanik zu bekommen und in risikoreiche Anlagen wie Kryptowährungen zu investieren, um vermeintlich aufzuholen.
Betriebliche Altersvorsorge lohnt nur bedingt
Hinsichtlich privater Rentenversicherungen oder Kapitallebensversicherungen sind beide Experten skeptisch. „Da gilt es genau zu prüfen, was man eigentlich einzahlt und wie hoch die Rendite ist. Oft stehen teure, aktive Fonds dahinter, und die Verkäufer, die häufig Versicherungsmakler sind, erhalten Provisionen“, sagt Negru. Wer hingegen mit kostengünstigen ETFs spare, sei flexibler und habe direkt Zugriff aufs Geld.
Darauf weist auch Nauhauser hin. Er empfiehlt, sich von Finanzvermittlern zu emanzipieren und „die Altersvorsorge mutig und informiert selbst in die Hand zu nehmen“.
Die Riester-Rente halten beide Fachleute vor allem für Geringverdiener und Eltern mit vielen Kindern für sinnvoll. Ihre Beurteilung der Rürup-Rente geht aber auseinander.
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Für Selbstständige oder Teilselbstständige wie mich könne das ein guter „Bausteingedanke“ für die Altersvorsorge sein, erklärt VZ-Expertin Negru. Denn bis zu einem Freibetrag von rund 27.565 Euro könnten die Zahlungen als Vorsorgeausgaben in der Steuer geltend gemacht werden. Sie betont, dass man bei Rürup nicht unbedingt in teure aktive Fonds investieren müsse, sondern dass es auch Anbieter gebe, die Lösungen auf Basis von kostengünstigen ETFs umsetzten. Das wirke sich positiv auf die Rendite aus.
Vermeintlich krisensichere Anlageformen wie Gold oder andere Edelmetalle spielen bei den Ratschlägen der Fachleute keine Rolle. Betriebliche Altersvorsorge (bAV) in Form einer Direktversicherung – wie in meinem Fall über das sogenannte Presseversorgungswerk – sollte man ihrer Meinung nach nur dann mitnehmen, wenn mindestens die Hälfte der Einzahlungen der Arbeitgeber übernimmt, nach dem Motto: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Weil die Förderung niedrig sei und die Versicherung nur klassische Garantieleistungen biete, falle die Rendite deutlich niedriger aus als bei Investitionen auf dem Aktienmarkt.
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Sparen: Beispielrechnung macht mir Mut
Um mir meine Sorgen zu nehmen, zu spät mit dem Sparen angefangen zu haben, rechnet Nauhauser ein Beispiel durch. Es zeigt, was schon mit wenigen Mitteln möglich ist.
- Angenommen, ich würde 10.000 Euro nicht in den Kauf eines neuen Autos oder in die Buchung einer Reise investieren, sondern in die Altersvorsorge.
- Angenommen, ich würde zusätzlich jeden Monat 100 Euro in einem breit gestreuten ETF sparen.
- Angenommen, die Rendite liege nach Kosten und Inflation bei 4,9 Prozent und entspreche damit dem historischen Durchschnitt der vergangenen 120 Jahre.
- Dann ergebe das nach Steuern zu meinem Renteneintritt in 27 Jahren eine Zusatzrente von 478 Euro im Monat.
Über einen derzeit langen Zeitraum komme zudem der Zinseszinseffekt zum Tragen. Bei thesaurierenden ETFs werden Dividenden reinvestiert, was den Effekt maximieren kann.
Die Rechnung des Verbraucherschützers macht mir Mut: Es ist keinesfalls zu spät für die Vorsorge. Und wenn ich jetzt starte, gibt es hoffentlich am Ende des Berufslebens auch tatsächlich was zu feiern. Wer auch immer dann die Musik auflegt und das Carpaccio liefert.