Wewelsburg: Kampf gegen den Kult der „Schwarzen Sonne“

Wewelsburg: Im Nordturm der Wewelsburg liegt der "Obergruppenführer-Saal". Wewelsburg: Im Nordturm der Wewelsburg liegt der "Obergruppenführer-Saal". Foto: Reporterdesk

Die »Schwarze Sonne« ist ein Erkennungszeichen für Rechtsextreme weltweit. Ihr Vorbild stammt aus der Wewelsburg bei Paderborn, heute ein Magnet für Neonazis und Esoteriker. Rechte Touristen machen dem Museum zu schaffen.

Am »Mittelpunkt der Welt« herrscht striktes Fotoverbot. Museumsleiterin Kirsten John-Stucke, 56, steht in einem runden Raum mit zwölf Säulen aus Grünsandstein, mit Rundbogenarkaden und Marmorfußboden. In der Mitte des Saals liegen orangefarbene Sitzsäcke. Die Historikerin zieht sie beiseite, um das verdeckte Bodenornament freizulegen: Ein Sonnenrad-Motiv spannt sich mit mehr als zweieinhalb Meter Durchmesser über den Marmor, zusammengesetzt aus zwölf getreppten Speichen. In diesem Zeichen lassen sich spiegelverkehrte Sig-Runen wie im Abzeichen der SS erkennen. Oder auch drei übereinander gelegte Hakenkreuze.

»Damit man die Schwarze Sonne nicht gleich beim Eintreten sieht, arbeiten wir mit diesen Sitzsäcken«, sagt die Historikerin. »Wir wollen den Besuchern den sogenannten Obergruppenführer-Saal natürlich nicht als weihevollen Ort zeigen, der er unter den Nazis werden sollte.«

Der Saal im Nordturm der Wewelsburg sollte nach Plänen von SS-Chef Heinrich Himmler das Zentrum eines megalomanischen Bauprojekts werden. Die Bebauungspläne sahen eine riesige ringförmige Burganlage in der ostwestfälischen Provinz vor. Mauern und Gebäude wurden in konzentrischen Kreisen geplant, ausgehend vom umgestalteten Obergruppenführer-Saal. Himmler wollte aus der Trutzburg in Büren bei Paderborn die zentrale Versammlungsstätte für seine SS-Elite machen.

Weil vieles aus dieser Zeit im Halbdunkel liegt, entstanden zahlreiche Verschwörungserzählungen und bizarre Mythen. Sie kreisen fast immer um die »Schwarze Sonne«, die den Ort zur Anlaufstelle für Rechtsextreme, Esoteriker und Verschwörungsgläubige machte.

Rechtsextreme kommen heute getarnt


Das Kreismuseum Wewelsburg verdeckt das Ornament der „Schwarzen Sonne“ mit Sitzsäcken und Hockern. Foto: Reporterdesk

Rechtsextreme kommen heute getarnt

Auch der Verfassungsschutz hat die »Schwarze Sonne« als Erkennungszeichen unter Rechten auf dem Schirm, das anders als das Hakenkreuz nicht verboten ist. »Wir müssen davon ausgehen, dass kaum ein anderes Symbol innerhalb der rechtsextremistischen Bewegung eine größere Reichweite hat«, sagte Thomas Pfeiffer, Rechtsextremismus-Experte vom Verfassungsschutz, dem SPIEGEL. Das Zeichen strahle gerade in jüngster Zeit zunehmend über Ländergrenzen hinweg.

Wie konnte es sich weltweit etablieren? Und wie geht das kleine Kreismuseum Wewelsburg mit der unrühmlichen Berühmtheit um?

Museumsleiterin John-Stucke sitzt am Besprechungstisch eines nüchternen Arbeitsraums des Kreismuseums direkt neben der Burg. Seit bald vier Jahrzehnten arbeitet die Historikerin hier. Ein roter Katalog belegt immer neue Herausforderungen. Er listet die wichtigsten Symbole und Codes in der rechten Szene auf. Neben der Schwarzen Sonne sind das Kleidungsmarken wie Thor Steinar, Symbole wie die Wolfsangel und Thors Hammer oder Zahlenkombinationen, die auf Buchstaben im Alphabet verweisen, etwa 18 (»Adolf Hitler«), 88 (»Heil Hitler«) oder 192 (»Adolf is back«).

Wer eines der Zeichen am Körper oder auf der Kleidung trägt, muss es vor dem Betreten der Wewelsburg zumindest verdecken. »Heute sind die Identitären, Rechtsesoteriker und Reichsbürger nicht mehr so auffällig wie die früheren Rechtsextremen, die noch mit Glatzen und Springerstiefeln kamen«, sagt John-Stucke.

An der »Schwarzen Sonne« erkennen sie einander

Der Tourismus von rechts wandelt sich, das Museum reagiert. Um die Bilderflut von der »Schwarzen Sonne« im Internet einzudämmen, wurde das Fotografieren in bestimmten Räumen verboten. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es zudem Deeskalationskurse. Das Museum holte sich Hilfe von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus.

Rechtsterroristen weltweit nutzen die »Schwarze Sonne« als Bekenntnis zu ihrer Ideologie. Eines der erschütterndsten Beispiele: Als Brenton Tarrant 2019 in Christchurch insgesamt 51 Menschen tötete , tauchte ein Pamphlet des Attentäters auf, mit der »Schwarzen Sonne« auf der Titelseite und der letzten Seite. »Bemerkenswert ist, dass das Zeichen an keiner Stelle im Text erklärt wird, das Verständnis wird in der Szene also vorausgesetzt«, so Thomas Pfeiffer.

Zu den absurden Gedankenwelten, die sich mit der Wewelsburg und der »Schwarze Sonne« verbinden, gehört auch die geheime »Vriel-Gesellschaft«. Dem Mythos nach entwickelte sie für die Nazis die »Reichsflugscheibe«, eine angebliche Nazi-Wunderwaffe, die es nie gab. Verlässlich tauche auch der »Heilige Gral« auf, berichtet John-Stucke: »Die Leute kommen mit teilweise aberwitzigen Vorstellungen hierher und werfen alle Fantasien auf die Burg und den Obergruppenführer-Saal. Dagegen zu arbeiten ist mühsam, weil vieles nicht belegt ist, was im Nordturm passieren sein soll.«

Es gebe die Momente, da schwirre ihr ganz schön der Kopf vor lauter Verschwörungserzählungen, sagt Kirsten John-Stucke – dann steige sie aufs Rennrad. »Im Museum bleibt neben der Hausordnung die Aufklärung das wirksamste Mittel.«

Trutzburg mit angeschlossenem KZ

Über die historischen Hintergründe informiert eine Ausstellung: Im Jahr 1933 suchte Heinrich Himmler einen Stammsitz für jährliche Treffen der SS-Führung. Westfalen-Lippe hatte es Himmler besonders angetan, weil sich mit der Region die Mythen vom Heimatgebiet der angeblichen arisch-nordischen Rasse und von Heldentaten der Germanen verbinden. Die alten Mythen polsterten die NS-Propaganda ab.

Für die Bauarbeiten wurde ein eigenes KZ am Dorfrand errichtet. Rund 3900 Häftlinge sollten als Arbeitssklaven Himmlers größenwahnsinnige Fantasien umsetzen. Architekt Hermann Bartels notierte: »Der Ausgangspunkt des ganzen Entwurfs ist der Mittelpunkt des nördlichen Turms der Wewelsburg.« An anderer Stelle ist vom »Mittelpunkt der Welt« die Rede.

»Insbesondere der Nordturm sollte ein exklusiver Ort für die Ausübung traditionell anmutender Adels- und Herrschaftsrituale werden: Himmler legte Dienstbezeichnungen für das Personal fest«, erklärt John-Stucke. Es gab einen Burghauptmann, die Burg-Mannschaft, Burgmaiden. Außerdem forschten einige SS-Wissenschaftler zu Altertum, Archäologie und Germanentum auf der Burg. »Vermutlich ist so auch das Symbol des Sonnenrades ausgewählt worden. Die Gestaltung geht auf alemannische Bronzefibeln aus dem 7. Jahrhundert zurück«, so John-Stucke. Belegen lässt sich das nicht, es fehlt an Aufzeichnungen aus der Zeit.

Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner erhielt Heinz Macher, Hauptsturmführer der Waffen-SS, von Himmler den Auftrag, die Burg zu sprengen. Doch der Sprengstoff reichte nicht aus.

»Regelrechter Schwarze-Sonne-Boom«

Klar ist: Der Mythos von einer Kultstätte der SS lässt sich nicht aufrechterhalten. Denn der Nordturm befand sich bis zum Schluss im Bau. Ein Treffen der SS-Führung gab es nur ein einziges Mal: Kurz vor dem Angriff auf die Sowjetunion versammelten sich die Gruppenführer vom 12. bis zum 15. Juni 1941, um sich ihrer ideologischen Stellung als »arische Elite« bewusst zu werden. »Die Auswüchse, mit denen wir heute zu kämpfen haben, sind der populärwissenschaftlichen Literatur geschuldet«, sagt die Historikerin.

Der Rechtsextremismus-Forscher Thomas Pfeiffer erkennt ab den Neunzigerjahren einen »regelrechten Schwarze-Sonne-Boom«. Auslöser war das Buch »Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo«, unter Verschwörungsgläubigen heute weitverbreitet. »Der Roman verband das erste Mal das mythische Element der Schwarzen Sonne konkret mit der Wewelsburg«, sagt der Experte des Verfassungsschutzes.

Rechte Zeitschriften und Internetforen führen die Burg als Ausflugstipp. Hinzu kommt eine bizarre Merchandising-Maschinerie: Rechte Vertriebe bedrucken »Plakate, T-Shirts, Militärmützen, Uhren, Feuerzeuge, Autokissen, Unterhosen – der Fantasie sind da kaum Grenzen gesetzt«, so Pfeiffer.

Das Symbol etablierte sich zunehmend in der Populärkultur: In der Nazi-Parodie »Iron Sky«, einem Hollywoodfilm aus dem Jahr 2012, taucht die Sonne auf. In japanischen Manga-Serien und Computerspielen wie »Wolfenstein« steht sie für einen geheimnisvollen Nazi-Okkultismus.

Wohl versehentlich landete sie auch im Fanshop von Sängerin Shakira, in Form eines Merchandising-Amuletts, auf deren Bedeutung erst Fans das Management des US-Stars aufmerksam machten. Und immer wieder führen auch militaristische Gruppen das Sonnensymbol auf ihren Fahnen und Standarten: Das Asow-Regiment trug es im Kampf gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine zumindest noch 2014 auf seiner Flagge.

In der „Gruft“ unter dem „Obergruppenführer-Saal“ planten die Nazis wohl Totenzeremonien für die SS-Elite. Foto: Reporterdesk

»Die Schwarze Sonne hat in der Szene eine große strategische Bedeutung. Denn ihre Verwendung ist auch eine Strafvermeidungsstrategie: Weil es zur NS-Zeit kein bedeutsames Symbol war, ist es kein Kennzeichen der SS im juristischen Sinne und daher nicht verboten«, sagt Pfeiffer.

Das unterscheidet das Symbol vom Hakenkreuz, dessen Verwendung in Deutschland unter Strafe steht. Je nach Kontext lade sich die Schwarze Sonne mit einer anderen Botschaft auf, erklärt Pfeiffer. Es sei Zeichen für die »reine Volksgemeinschaft« und gegen die »Vermischung der Ethnien«, Symbol für eine natürliche »Überlegenheit der weißen Rasse«, Kampfzeichen gegen das parlamentarisch-demokratische System bis hin zu esoterisch-neonazistischen Mythen von geheimen Nazi-Technologien und »Reichsflugscheiben«.

In einem Ausstellungsraum des ehemaligen Wachgebäudes der Burg deutet Kirsten John-Stucke auf Häkeldeckchen mit der Schwarzen Sonne, ausgestellt hinter Glas. »Wir versuchen auch zu zeigen, wie bizarr diese ganzen Verschwörungstheorien sind«, sagt sie. Für das Museum gebe es immer wieder neue Herausforderungen: »Vor Kurzem stellte die AfD-Fraktion im Kreistag zum Beispiel einen Antrag, dass das Fotoverbot im Nordturm nicht verschärft werden dürfe. Glücklicherweise gab es dafür keine Mehrheit.« Die Frage, wie man als Museum – und als Gesellschaft – mit Rechtsextremismus umgehe, stelle sich immer wieder neu.

Verbote allein, sagt Thomas Pfeiffer, führten nicht weiter: »Wir werden mit Löschen und Sperren im Internet immer nur teilweise erfolgreich sein und müssen in die Auseinandersetzung gehen.« Er setzt auf Aufklärung. »Fragt man sich, womit das Zeichen historisch verknüpft ist, entlarvt es sich selbst: Es steht im Kern für das Morden der Nationalsozialisten und deren rassistische Verbrechen. Wenn sich der mythische Nebel lichtet, bleibt die nackte Gewalt.«

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